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Schüler helfen ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern in Kiew, Minsk und Moskau.

Schüler engagieren sich für ehemalige NS-Zwangsarbeiter.

Alte Menschen sind manchmal vergesslich. Es ist das löcherige Kurzzeitgedächtnis, aber was lange zurückliegt, ist immer präsent. „In meiner Jugend…“, so beginnen die Erzählungen der Großeltern. Schnee von gestern? Nein, hören wir ihnen zu, manche Lebenserfahrung der Alten könnte uns etwas für die eigene Zukunft bieten.

Stellen wir uns vor, was für hunderttausende Menschen in Europa nach über 60 Jahren so präsent ist, als wäre es gestern geschehen:

Lena, Iwan oder Natascha gehen noch zur Schule oder haben gerade die Lehre oder das Studium abgeschlossen. Die Welt um sie herum ist arm, aber Freunde, Eltern und Verwandte, die vertraute Umwelt bieten heimatliche Wärme. Dann ist Krieg, Angst kriecht durch die Dörfer. Eines Tages kommen Leute in Uniform mit Befehlen in fremder Sprache, reißen sie heraus aus allem. Noch das brennende Elternhaus vor Augen, werden sie in stinkende Viehwaggons geworfen. Das Entsetzen bleibt ihnen ein Leben lang erhalten:

Irgendwo im Unbekannten hält der Zug, und die Menschen werden aussortiert: Bist du ein kräftiger Junge, wirst du die nächsten Jahre vielleicht Eisenbahngleise schleppen, als junge Frau, wenn du Glück hast, wirst du Dienstmädchen, Pech, wenn du an der Werkbank Grananten drehen mußt. An die fremde Sprache gewöhnst du dich schnell, schell lernst Du auch die deutschen Befehlsworte. (Die hat niemand in Russland oder in der Ukraine vergessen.) Links, über dem Herzen, ist auf Deinem Arbeitskittel ein blaues Quadrat mit der Aufschrift „OST“ aufgenäht. Andere tragen dort den Davidsstern, das sind jene, denen Du nur kurzzeitig am Arbeitsplatz begegnen wirst. Später wirst du erfahren, daß diese Leidensgefährten in der Gaskammer endeten.

Das Stigma „OST“ unterscheidet dich von einem Zwangsarbeitern aus Holland, Lettland oder Frankreich. Als „Ostarbeiter“, wie Dich die Deutschen nennen, zählst du zu den „Untermenschen“. Man darf dich prügeln wie einen Hund und das letzte Quäntchen Arbeitskraft aus dir herausquetschen.

Kann man das je vergessen?

Auch das Leid hat irgendwann ein Ende. Es ist Frieden, du darfst nach Hause. Aber es trennt dich eine Mauer aus Mißtrauen von der Heimat. „Du hast für den Feind gearbeitet“, lautet der Vorwurf. Aus Dir „Untermenschen“ ist ein „Vaterlandsverräter“ geworden. Dieses doppelte Stigma zu verbergen, wird für Dich zur Überlebensfrage. Du wirst schweigen, die Last der Erinnerung kannst Du nicht einmal mit deinem Lebensgefährten teilen.

Mit dem Ende der Sowjetunion beginnt das letzte Kapitel im Leben der ehemaligen „Ostarbeiter“. Die Inflation hat das Ersparte vernichtet, die schmale Rente reicht nicht zum Leben, Medikamente sind kaum zu bezahlen. Aber das freie Wort ist erlaubt, das Verborgene darf ans Tageslicht. Mehr noch, aus Deutschland kommen amtliche Formulare, auf denen verzeichnet werden soll, was bis dahin verschwiegen worden ist.

Nun wird nach allem gesucht, was als Beweis dienen kann. Behördengänge und Bittbriefe nach Deutschland, in denen es um den Nachweis der Arbeit bei Siemens, AEG oder Krupp geht, bestimmen jetzt das Leben dieser alt gewordenen Menschen. Lohn der Mühe ist ein Bewilligungsbescheid, der eine bestimmte Summe Geld nach den Kategorien A, B oder C zusagt. Im Jahre 2004 wurde somit an 811 000 ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion eine erste Rate überwiesen.

Dieses Geld bietet keinen Ausgleich für damals vorenthaltene Sklavenlöhne, aber es mildert ein wenig das gegenwärtige soziale Elend der Alten.

Das psychische Elend und die seelischen Verletzungen aus Jugendzeiten kann Geld nicht heilen. Zumal dann nicht, wenn unter Nachbarn der Neid wächst: Alle sind arm, aber einige im Dorf haben Geld aus Deutschland bekommen. Auch die Gleichgültigkeit der Jugend gegenüber den Schicksalen der Alten schmerzte. Dies ist der letzte Schmerz im Leben der Opfer des Naziregimes in den Ländern der früheren Sowjetunion. Ihr Leben ist mit dem Leben in Deutschland durch unsere Geschichte verbunden.

Wir empfinden das Unrecht und nachwirkende Leid von Menschen, denen es zugefügt wurde in Zeiten, als sie so jung waren, wie wir es heute sind. Dagegen wollen wir etwas tun.

Aufruf zum Mitmachen.

Schülerinnen und Schüler aus Kiew, Moskau und Minsk laden diese Menschen in die Schulen ein, besuchen sie zu Hause, helfen, wo Hilfe gefragt ist und zeichnen in vielen Gesprächen ihre Lebenserfahrungen auf. Das Projekt „Schüler helfen NS-Zwangsarbeitern“ begann am 1. Januar 2004 an drei Schulen dieser Hauptstädte. Es folgte die Gründung eines „Berliner Schüler-Initiativkreises für NS-Opfer in Osteuropa“.

Wir rufen Schülerinnen und Schüler in Deutschland und der GUS zum Mitmachen auf. Auf dieser Homepage könnt ihr euch in Russland, Weißrussland, in der Ukraine und in Deutschland kennenlernen, ihr lernt hier im Laufe der Zeit die Lebenswege der Naziopfer im Osten Europas kennen und könnt hier eurer Phantasie freien Lauf lassen, um den ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern zu helfen. Ihr lernt aus den Lebensgeschichten der Alten, die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen, und ihr könnt das Beste geben, was unsere gemeinsame Welt über alle Grenzen hinweg zusammenhalten kann: Solidarität.

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