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Schüler helfen ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfern in Kiew, Minsk und Moskau.

Hilfe für NS-Opfer ist auch Hilfe für uns selbst.

Bericht über das Sommerseminar des Projekts in Odincovo bei Moskau.

Von Jan Illig.

Vom 23. bis 29. August 2004 fand in Odincovo bei Moskau das erste Sommerseminar des Projekts „Schüler helfen ehemaligen Zwangsarbeitern und anderen NS-Opfer in Kiew, Minsk und Moskau“ statt, an der Schüler aus allen drei Städten teilnahmen. Die Berliner Schüler mussten aus finanziellen Gründen leider auf eine Beteiligung verzichten.

23. August: Eröffnungstreffen.

Nach dem anstrengenden Tag der Ankunft der Projektgruppen in Moskau und der Überfahrt sowie Einquartierung im Erholungsheim „Poljot“ in Odincovo bei Moskau fand spät am Abend noch die offizielle Begrüßung zum Seminar statt. Die Projektgruppen aus Minsk, Kiew und Moskau stellten sich den anderen vor, die Minsker und Kiewer hatten einige Lieder und Gedichte, die Moskauer ein szenisches Spiel vorbereitet.

Die Kiewer Gruppe vor der Lomonosov-Universität in Moskau

Während eines Brainstormings teilte jeder Schüler und Betreuer seine Gedanken, Erwartungen und Wünsche zum Sommerseminar mit. Die Äußerungen wurden auf einer Seminarwandzeitung fixiert:

24. August: Meeting mit ehemaligen Zwangsarbeitern im Moskauer Park des Sieges, Besichtigung der Gedenksynagoge, Gespräch mit dem Historiker Sergej Krivenko von „Memorial“ am Abend.

Die größte Herausforderung dieses Tages war es, die Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen, ohne jemanden zu verletzen. So hatten die Initiatoren des Seminars, die Betreuer und Experten aus verschiedenen Organisationen andere Zielsetzungen, als die Vertreter unserer Partnerorganisation, dem Russischen Verband der ehemals minderjährigen Häftlinge faschistischer Konzentrationslager.

Teilnehmer des Sommerseminars im Park des Sieges in Moskau

Außerdem mußte die Veranstaltung offiziell beim Moskauer Bürgermeister angemeldet werden. Trotz aller Schwierigkeiten und der Länge der Veranstaltung (6 Stunden) war das Meeting erfolgreich, die Schüler zeigten bis zum Ende großes Interesse. Die wichtigsten Eindrücke und Informationen des Tages wurden am Abend von Schülern und Betreuern besprochen.

Der Tag im einzelnen:

11:30 Uhr: Treffen der Schüler mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern vor dem Denkmal für NS-Opfer im Park des Sieges, private Gespräche, Interviews mit dem Fernsehsender „Grom medija“ vom Östlichen Verwaltungsbezirk von Moskau.

12:00 Uhr: Ankunft der offiziellen Vertreter des Russischen Verbandes ehemals minderjähriger Häftlinge faschistischer Konzentrationslager; Meeting: Kranzniederlegung, Gedenkgottesdienst am Denkmal für NS-Opfer und am Denkmal der gefallenen Helden; Gesprächsrunde: 17 NS-Opfer berichten den Schülern aus ihrem Leben.

14 Uhr: Filmsequenzen zum Nürnberger Prozeß (Dokumentaraufnahmen aus faschistischen Vernichtungslagern), Führung durch die Ausstellung des Museums des großen Vaterländischen Krieges.

16 Uhr: Führung durch die Antikriegsausstellung des Holocaustmuseums in der Gedenksynagoge am Poklonnaja Gora. Die Museumsführerin, Ljudmila Savtschenkova, selbst ukrainisch-griechischer Abstammung, diskutiert mit den Schülern über Religion, Glaube, Tradition, Toleranz, Rassismus, Antisemitismus.

„Rassismus ist es bereits, wenn jemand erzählt, daß er jüdische oder tschetschenische Bekannte hätte, die ‚eigentlich‘ ganz nett sind.“ (Ljudmila Savtschenkova).

Ein Abend

Gesprächsrunde am Abend: Teilnehmer ist unter anderem auch der Historiker Sergej Krivenko von der Gesellschaft „Memorial“. Einen breiten Raum nimmt die Auswertung des heutigen Tages ein.

Was die Schüler an diesem Tag besonders beschäftigte:

25. August: Vormittags: Sozialpsychologisches Seminar mit Jelizaveta Dshirikova und Tatjana Nikulzeva von der Moskauer Sozialstation „Sostradanije“.

Elizaveta Dshirikova und Tatjana Nukulzeva von der Moskauer Sozialstation „Sostradanije“ berichteten, wie NS-Opfer von ihnen sozial und medizinisch betreut werden. In diesem Zusammenhang wiesen sie auf die Notwendigkeit hin, eine genaue Patientenkartei zu führen, den Opferstatus des Patienten zu bestimmen, sowie in Erfahrung zu bringen, ob der Patient Hilfe von anderen Sozialdiensten in Anspruch nimmt.

Sozialpsychologisches Seminar mit Tatjana Nikulzeva

An dieser Stelle meldeten sich mehrere Schüler zu Wort und merkten an, daß sie eine solche Hilfe nicht leisten wollten, sondern daß das Projekt „Schüler helfen NS-Opfern in der GUS“ einen ganz anderen Sinn habe.

„Wir wollen nicht wissen, wieviel Geld ein NS-Opfer als Kompensation aus Deutschland bekommen hat oder ob ein alter Mensch noch andere Unterstützung bekommt, wir wollen in erster Linie moralische Hilfe von Mensch zu Mensch und nicht von Sozialarbeiter zu Patient leisten“.

Einige Fragen, die im Rahmen des sozialpsychologisches Seminars erörtert wurden:

Eine Kiewer Schülerin: „Meine Eltern wußten zuvor gar nichts von ehemaligen Zwangsarbeitern, als ich ihnen davon berichtete, unterstützten sie meine Arbeit. Meine Mutter arbeitet beim ukrainischen Rentenfonds und erfuhr, daß meine Zwangsarbeiterin gar nicht alle staatlichen Vergünstigungen in Anspruch nimmt, die ihr eigentlich zustehen.“

25. August: Nachmittags: Ausarbeitung fiktiver „Miniprojekte“ an Hand realer Briefe von NS-Opfern aus Russland mit Jelizaveta Dshirikova, Tatjana Nikulzeva und Aleksej Dörre.

Die Ausarbeitung der „Miniprojekte“ bezog sich direkt auf das einführende sozialpsychologische Seminar vom Vormittag. Die Experten hatten hierzu fünf Briefe von NS-Opfern mit völlig unterschiedlichem Inhalt ausgewähltund an die Schüler verteilt.

In fünf Gruppen analysierten die Schüler die Briefe und überlegten, wie die Hilfe für den entsprechenden Briefschreiber organisiert werden könnten. Diese „Miniprojekte“ wurden am Ende allen Seminarteilnehmern vorgestellt und gemeinsam besprochen.

26. August: Sozialmedizinisches Seminar und Training mit Svetlana Anikijeva von „Sostradanije“ und Aleksej Dörre sowie Gesprächsrunde „Die Lebensgeschichte meiner Großeltern“.

In dem einleitenden Seminar wurde darüber gesprochen, was generell bei der Betreuung alter Menschen beachtet werden sollte. Ihm schloss sich eine Gesprächsrunde der Schüler und Betreuer zum Thema „Die Lebensgeschichte meiner Großeltern“ an.

In Vorbereitung des Seminars hatten die Moskauer Schüler ihre Großeltern zu deren Kriegserlebnissen befragt. Die Groß- bzw. Urgroßeltern aller Moskauer Projektschüler waren direkt vom Krieg betroffen. Obwohl unvorbereitet, sprachen auch die Minsker und Kiewer Projektschüler über das, was sie von ihren Großeltern erfahren hatten. Auch die Berichte der deutschen Betreuer über deren Großeltern waren für die GUS-Schüler interessant.

Gesprächsrunde „Die Lebensgeschichte meiner Großeltern“

Außerdem gab es einen Finanzworkshop für die Projektkoordinatoren, den Anke Zimack leitete. Hintergrund waren die zweckgebundenen Verwendung der Projektmittel, die Erörterung und endgültige Abstimmung der Abrechnungsmodalitäten. Jede Gruppe wird fortlaufend ein Projekttagebuch führen. In dieses Tagebuch werden in Form einer Tabelle sowohl alle Aktivitäten und Besuche als auch finanzielle Aufwendungen und deren Zweck eingetragen.

27. August: Vormittags: Präsentation von Höhepunkten in der Projektarbeit in Moskau, Minsk, Kiew und Berlin.

Über die Höhepunkte ihrer Projektarbeit berichteten alle GUS-Projektgruppen sowie Jan Illig (stellvertretend für die nicht anwesenden Berliner Projektschüler). Es wurden Ideen besprochen, die gemeinsam realisiert oder auch von anderen für die eigene Arbeit übernommen werden könnten.

Moskau:

Multimediapräsentation des Moskauer Schülers Rustem

Kiew:

Minsk:

Berlin:

27. August: Nachmittags: Medienpädagogisches Seminar und Situationstraining „Erleben und über Erlebtes erzählen: Interviews mit NS-Opfern“ mit Ute Weinmann von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.

In ihrem medienpädagogischen Seminar gab Ute Weinmann den Schülern zuerst eine allgemeine Einleitung zu „narrativen Interviews“. In praktischen Übungen probierten die Schüler Fragetechniken aus und versuchten sich in die Person des Fragenden wie des Befragten hineinzuversetzen.

Wichtig war zu erfahren, wie ein vertrauensvolles Gespräch begonnen und wie es abgeschlossen werden sollte, damit sich der Befragte aussprechen kann und der Fragende wichtige Informationen erhält.

Aufbau des narrativen Interviews:

  1. Einladung zum Gespräch: „Ich möchte Sie bitten, mir über Ihr Leben zu berichten, über solche Ereignisse, die Ihnen während unseres Gesprächs in den Sinn kommen. Sie können solange reden, wie so möchten. Ich werde sie nicht unterbrechen, es sei denn, um mir einige Notizen zu dem zu machen, über das ich Sie später noch befragen möchte.“
  2. Hauptteil (Autobiographie): die Erzählung des Interviewpartners nicht unterbrechen, sondern intensiv zuhören und Gesagtes nicht offen in Zweifel ziehen.
  3. Nachfragen zur Autobiographie: zur Chronologie des Geschilderten, zu Themen, die in der Autobiographie nicht zur Sprache kamen.
  4. Abschluss des Interviews: Wenn der Autobiograph über sehr belastende Ereignisse spricht (selbst unruhig wird oder anfängt zu weinen), darf das Interview nicht plötzlich abgebrochen werden. Das Gespräch sollte auf weniger belastende Themen gelenkt werden. Am Ende sollte der Interviewer das Gespräch auf einen angenehmen Gegenstand lenken.
  5. stereotype Interviewfragen: „Könnten Sie nicht noch etwas aus Ihrer Kindheit erzählen? Sie erwähnten Ihre Mutter. Könnten Sie nicht von einigen frühen Erinnerungen an ihre Mutter sprechen und darüber, was sie gemeinsam erlebt haben? Sie erwähnten, daß …, könnten Sie nicht etwas mehr darüber erzählen? Was haben Sie dabei empfunden, als …?“

Praktische Übungen:

Aufteilung in Dreiergruppen. Ein Schüler führte mit einem anderen ein narratives Interview. Der dritte Schüler verfolgte das Gespräch und macht Notizen. Innerhalb der Gruppen sollte drei Mal gewechselt werden.

Olga aus Minsk berichtet: „Ich habe mich mit Shenja (aus Moskau) bisher nicht unterhalten, nur ‚Guten Tag‘, ‚Guten Appetit‘ und so weiter. Jetzt habe ich erfahren, daß Shenja ein sehr interessantes Leben hat und wir haben eine gemeinsame Sprache gefunden.“

28. August: Ausarbeitung und Präsentation der Projektpläne für das nächste Schuljahr.

Die Präsentation der Pläne für die Projektarbeit stellte den wichtigsten Meilenstein während des Sommerseminars dar. Hier sollte sich zeigen, ob die vorherigen Seminareinheiten, der rege Erfahrungs- und Ideenaustausch dazu beitragen konnten, konkrete und abrechenbare Pläne für die Betreuung der NS-Opfer in Kiew, Moskau und Minsk zu entwickeln.

Projektpräsentation

Eine wichtige Grundlage für diese Arbeit stellte die Seminarwandzeitung dar, auf der die in den Gesprächen entstandenen Projektideen fortlaufend ergänzt wurden.

Jede der drei nationalen Projektgruppen hatte den ganzen Vormittag Zeit, ihre Projektideen zusammenzutragen.

Die Projektpläne aus Minsk, Moskau und Kiew (gekürzt):

Minsk:

Moskau:

Kiew:

Zu den ausführlichen Projektplänen aus Minsk, Moskau und Kiew für 2004/2005.

28. August: erste Einschätzung des Sommerseminars und Ausgabe der anonymen Fragebögen.

Am Ende des Seminars fand eine erste Einschätzung des Sommerseminars statt. Die (auf der Lagerwandzeitung fixierten) Erwartungshaltungen der Seminarteilnehmer vom ersten Tag wurden mit den Eindrücken am Ende des Seminars verglichen. Dies geschah mündlich im Rahmen einer Gesprächsrunde und schriftlich über anonyme Fragebögen.

Heute heißt es Abschied feiern

Sowohl die Schüler als auch die Betreuer schätzten das Seminar positiv ein. Viele Seminarteilnehmer aus unterschiedlichen Städten haben sich befreundet. Das Seminar habe die einmalige Möglichkeit geboten, so die Einschätzung mehrer Schüler, überhaupt Jugendliche aus anderen GUS-Republiken kennenzulernen.

Die meisten Seminarteilnehmer äußerten, daß sie aus dem Erfahrungs- und Ideenaustausch mit den anderen für ihre humanitäre Tätigkeit profitiert hätten.

Zur Auswertung der Fragebögen.

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